Karl Streckfuß                       Selbstgespräch

 

 

I.

 

Freund, sagt mein treuer Spiegel, du wirst alt!

Ich hör’ es an und bleibe ganz gelassen.

Freund,sag ich zu mir selber, du wirst kalt!

Und kann mich kaum vor bitterm Unmuth fassen.

 

Daß mir kein Mädchenherz entgegenwallt?

Je nun, man wird mich eben auch nicht hassen;

Doch mich läßt ruhig Reiz und Wohlgestalt,

Und deshalb fühl’ ich arm mich und verlassen.

 

O schöne Jugend, magst du doch verblühn,

Magst du verblühn auf Antlitz und Gestaltung;

Nur in der Brust laß deine Flammen glühn.

 

Ach! schwindet da in tödtlicher Erkaltung

Dein Blumenflor, dein labend frisches Grün,

Nicht werth ist dann dies Leben der Erhaltung.

 

 

II.

 

Nun sprich: Wie kalt? So fahr’ ich fort zu fragen,

Und schuldig blieb ich mir die Antwort gern.

O schöne Jugendzeit, wie liegst du fern;

Du Zeit voll herber Lust, voll süßer Plagen,

 

Wo Zauberlande vor mir offen lagen,

Ob jedem hell ein goldner Hoffnungsstern,

In jeder rauhen Schal’ ein süßer Kern,

Ein Keim, bestimmt, mir schöne Frucht zu tragen.

 

Da schwammen Engelstön’ in blauer Luft,

Das Nächste selbst umwob der Ferne Duft,

Ein Hold Gemisch vom Dämmerung und Klarheit.

 

Unendlich herrlich schien des Lebens Loos,

Die Kraft, es zu erstreben, riesengroß,

Und jeder holde Trug voll inn’rer Wahrheit.

 

 

III.

 

Und jetzt? – Was einst, dem Morgenduft vergleichbar,

Mein Sein umwob, verschwand mit meinem Lenze;

Daß ganz sein dämmerheller Schein verglänze,

Erschien die Wahrheit, drängend, unausweichbar.

 

Und durch kein Streben, durch kein Flehn erweichbar,

Zeigt sie mir kalt des Lebens enge Grenze.

Einst hingen hoch an Sternen meine Kränze –

Was hab’ ich nun erreicht? Was ist erreichbar?

 

An meinem Blick vorüber ging das Große,

Verschrumpfend, noch beschaut, zu armer Kleinheit,

Dem Staunen, wie dem Streben, zur Vernichtung;

 

Und ach! die Schönheit barg in ihrem Schoße

Die fluchbeladne Mißgestalt: Gemeinheit,

Zerstörend meines Herzens holde Dichtung.

 

 

IV.

 

So seufz’ ich auf und rett’ aus trüben Wellen,

Ein zornerstarkter Schwimer, mich zum Strand,

Und find’ ein stilles, angenehmes Land,

Gar schön geschmückt mit vielen trauten Stellen.

 

Hier plätschern hold im Thal kristallne Quellen,

Dort grünt der Hain, das Feld, der Rasenrand,

Ein Garten dort, gepflegt von treuer Hand,

Wo zart im Laub die Luftaccorde schwellen.

 

Und manches kleine, wohlgebaute Haus,

Mit rothem Dach, gar reinlich, frisch und heiter,

Schaut hinter grünem Laubgeflecht heraus.

 

Da ist’s, als kling’ ein Freundeston: Nicht weiter!

Verschwendet ist die Kraft im eitlen Strauß,

Hier aber winkt der Lohn dem müden Streiter.

 

 

V.

 

Und wenn hernieder aus azurnen Hallen,

In stiller Ruh’ der lauen Sommernacht,

Vom Geist, der ewig ob den Welten wacht,

Die Millionen Strahlenblicke fallen;

 

Wenn ledig von den Erdenfesseln allen,

Beglückt und frei, in angeborner Macht,

Auf Sonnenstufen hin durch Licht und Pracht

Zum ew’gen Geiste die Gedanken wallen;

 

Wenn rückwärts tief der Erde Jammer liegt,

Und höher, höher stets die Seele fliegt

Zum reinsten Glück in ew’ger Liebe Schoße:

 

Bin ich dann kalt? Erstarb in mir die Gluth

Für das, was edel ist und recht und gut?

Und scheinet auch mir arm und klein das Große?

 

 

VI.

 

Wenn von des ew’gen Geistes Hauch empfangen,

Und von der erde reinster Lust geboren,

Sie, beider Kind, zur Mittlerin erkoren,

Durch die zusammen Erd’ und Himmel hangen;

 

Wenn Kunst die Wolken, so die Welt umfangen,

Die Nebel, so der Menschheit Bild umfloren,

Durch allgewalt’gen Zauberspruch beschworen,

Bis sie vor dem geweihten Blick vergangen,

 

Damit in Farb’ und Stein, in Wort und Tönen;

Die Menschheit und die Welt in edler Reinheit,

Ob wirklich nicht, doch wahrhaft sich gestalten:

 

Binn ich dann kalt? Entspringt auch dann dem Schönen

Die fluchbeladne Mißgestalt: Gemeinheit?

Und fühl’ ich nicht der ew’gen Jugend Walten?

 

 

XV.

 

Drum nenn’ o treuer Spiegel, mich veraltet

Und zeige frei die kleinen Falten mir,

Und der Verstand verbinde sich mit dir

Und schelte grübelnd mir das Herz erkaltet!

 

Und ihr, Gemeinheit, Selbstsucht, Thorheit, schaltet,

Erregt die Brust, weckt edlen Zorn in ihr:

Noch deutlicher erkenn’ ich dann, daß hier

In frischer Fülle noch die Jugend waltet.

 

Und walten soll sie, wenn es Gott geliebt,

Bis einst die dunkle Lagerstatt dem Streben,

Den Freuden und den Leiden Ruhe giebt,

 

Und dann auch soll die Seel’ aus diesem Leben,

Aus diesem Herzen, das im Grab zerstiebt,

Voll Jugendlust zur ew’gen Jugend schweben.

 

 

 

 

 

Karl Streckfuß                       Auf der Reise

1779 - 1844

Der Heimat angeknüpft durch zarte Bande,

Riß ich mit wundem Herzen sie entzwey,

Da trat dem Streitenden die Hoffnung bey,

Und zeigte lächelnd hin in ferne Lande,

 

Dort, sprach sie, keimt dir Lieb’ und Leben neu,

Die Freundschaft, die sich weinend von dir wandte,

Entblühet jung Italiens mildem Strande,

Und ist dir wie die alte hold und treu.

 

Nun seh’ ich Berg’ und Thäler rückwärts eilen,

Doch immer vorwärts strebt mein reger Sinn

Nach meines Zieles dunkler Ferne hin.

 

Dieß Streben soll mir alle Wunden heilen,

Und einzig diene die Vergangenheit

Als treue Sclavin nur der künft’gen Zeit.

 

 

 

 

 

Karl Streckfuß                       Die Tragische Dichtung

1779 - 1844

Was jeder will und kann, es zeigt im Leben

Sich hier und dort zertheilet und zerstücket.

Und welcher nah’ das größte Thun erblicket,

Er sieht es matt und klein vorüber schweben.

 

Der Raum, die Zeit beschränkt des Menschen Streben,

Und lähmt die Kraft, die glühend uns durchzücket.

Nur du, o Kunst, die uns der Welt entrücket,

Kannst, was wir sind, uns rein im Bilde geben.

 

Der Kräfte Walten, der Begierden Streiten,

Der Tugend Reiz, der Sinne Trug und Blendung,

Des Schicksals Macht, der innern Stimmen Wahrheit –

 

Das alles raff’st du auf aus ew’gen Weiten,

Und zeigst gestaltet, herrlich, in Vollendung,

Der Menschheit Bild in ungetrübter Klarheit.